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GESUNDE NATUR in die Tiefe. Im Gräbendorfer See können
Im Gräbendorfer See existiert eine gestalte- mit Hilfe der Basis senkrecht angeschnit-
te Fläche namens „Versunkene Stadt“. Dort tene Reste des echten Kohleflözes in knapp
stehen mehr oder weniger algenbedeckt vierzig Meter Tiefe erkundet werden.
antikisierende Plastiken, Trinkbrunnen Aus diesen seltsamen Steilwänden ragen
und Säulenkapitelle. Das Dämmerlicht und teilweise noch jene uralten Hölzer, deren
halbschräg in den Seegrund eingesunkene größter Teil im Tertiär zu Braunkohle
Exponate erzeugen eine ganz eigenartige wurde.
Stimmung, beinahe wie zwischen den Bei Leipzig und sich nach Osten hin durch
Resten einer nach einem Erdbeben unter- die West- und Oberlausitz bis Görlitz
gegangenen mediterranen Stadt. hinziehend beginnt eine verborgene Welt
Im Sundhäuser See versuchen die Tauch- von diversen Steinbruchseen. Über 500
basisbetreiber mit dem Projekt Nordhusia sogenannte Kesselbrüche wurden von den
die wichtigsten Bauwerke des mittelalterli- Vorfahren aus den Gesteinen Porphyr,
chen Nordhausen am Seegrund abstrahiert Grauwacke, Granit und Basalt heraus-
nachzubauen. Das ist absolut sehenswert, gesprengt. Die meist relativ kleinflächi-
beeindruckend und fotogen. Wenn man all gen und oft tiefen Gewässer gestalten
die Häuser, Türme, Tore, die Kapelle und malerische verborgene Winkel mit dem
den Brunnen vielleicht als Installationen Aussehen kleiner Bergseen, an denen sich
betrachten will, so befinden sich im Sund- eine originelle Tauchbasenszene ange-
häuser See zusätzlich echte Kunstwerke: siedelt hat. Der Westbruch darf als einer
Die Menschendarstellungen des mittel- der westlichen Anfangspunkte dieser
alterlichen Nordhusia am Seegrund sind vielfältigen Fels-Seenlandschaft gelten und
künstlerische Holzskulpturen aus Eiche. er bietet wie fast alle Steinbruchseen auch
Außerdem kann man abseits der Stadt über echte senkrecht stehende Felswände zum
unterseeische Höhenzüge hinweg tauchen, hinab schweben in eiskalte düstere Tiefen.
auf denen optisch sehr wirksam die Beton- Neben dem Westbruch sind Felskessel wie Das beinahe biometrische Schleien-Passbild
plastiken der Serie „Kunst im See – Men- Haselberg, Wildschütz, Riesenstein, Haus- aus dem Carwitzer See.
schen unterwegs“ angeordnet sind. tein, Prelle, Sparmann, Horka oder Wetro
Im Schladitzer See lässt sich eine Serie in Taucherkreisen längst Legende.
witziger Installationen bewundern, die zu Der naturkundlich gebildete Taucher
einem Kompass-Orientierungskurs an- von heute beschäftigt sich häufig mit der
geordnet wurden. Wer mit dem Kompass natürlichen Entwicklung von Seen, mit
umgehen kann, wird hier, in klarstem Was- Wasserpflanzenarten, mit dem Fisch-
ser schwebend, Orte wie ein unterseeisches arten-Spektrum. Dazu gehört auch das
Zelt-Camp, ein schwebendes Surfbrett, die Thema der Neozoen, jener Fischarten,
originelle Skeleton-Bar oder die niedliche die aus anderen Weltgegenden eingewan-
Seekuh zwischen Characeen erreichen. dert sind oder bewusst besetzt wurden.
Soweit Steilwände oder „Drop offs“ für Im Carwitzer See leben in unauffälliger
einen Tauchgang interessante Akzente Menge Amerikanische Zwergwelse, im
setzen, so sind diese in den Top-Ten-Seen Gröberner See sind durch eine Laune der
des Ostens höchst unterschiedlicher Art. Natur beinahe mehr Sonnenbarsche als
Im Schmalen Luzin lassen sich Steilhänge andere Kleinfische zu beobachten und im
finden, die mit kugelrunden skandinavi- Westbruch kann man sogar orangen Kois,
schen Findlingen wie gepflastert wirken. Sonnenbarschen und Stören begegnen.
Zwischen den Steinen fließen die toten
weißen Muschelschalen (Schill) allmählich
UNSER »OST SEEN« EXPERTE: FALK WIELAND
FALK WIELAND ist Techniker zweier
Institute der Umweltwissenschaften an der
TU Dresden, Autor von mehr als zehn
Tauchbüchern zum Süßwasser- und Ostsee-
Tauchen, freier Autor deutscher Tauch-, Kanu-,
Sportfischer- und Aquarien-Zeitschriften seit
1990. Er taucht seit über vier Jahrzehnten als
Sporttaucher und Unterwasser-Fotograf, mit
einem Intermezzo als Pioniertaucher der
Armee und seit als 1999 staatlich geprüfter
Forschungstaucher für die Wissenschaften.
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Ein Koi kreuzt vor Seerosenstängeln im Westbruch.