Page 14 - divemaster Ausgabe 106 - Okt/Nov/Dez 2020
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eisbären




        Und das taten sie auch, sie drehten sich erst
        in letzter Minute um, um ein Treffen zu ver-
        meiden. Wir tauchten sofort bis auf drei Me-
        ter ab, um weiter zu filmen. Als sie über uns
        hinweggingen, waren sie weniger als zwei
        Meter entfernt. Und dieses Mal sah ich statt
        eines großen Männchens, das nach mir griff,
        eine Bärenmutter, die ihr Bein um ihr Baby
        wickelte, um es zu schützen. Es war ein so
        zärtlicher Moment, und wir hatten ihn nur
        vom Wasser aus sehen können.
        Als wir aus dem Wasser heraus an Bord ge-
        klettert waren, umarmte ich Adam - unsere
        Verbundenheit wurde für immer durch die
        Freude, das Glück und die große Herausfor-
        derung, die wir gerade gemeinsam erleben
        durften, gefestigt.
        Aber wir hatten nicht so viel gefilmt, wie   Von den Inuit haben wir gelernt, dass Eisbären-
        wir wollten, und da an den Tagen vier und   mütter bei ihren Jungen an der Wasseroberfläche
        fünf dasselbe Regenwetter herrschte wie am   bleiben. Männchen dagegen sind neugierig,
        ersten Tag, wurde die Anspannung immer   aggressiv immer im Jagdmodus und folgen den
                                                 Fotografen bis weit unter die Zehnmetergrenze.
        größer, ob wir das gestellte Ziel erreichen   Hier ist Vorsicht geboten.
        würden.
        Uns blieben nur noch zwei Tage, und wir
        mussten mehr Filmmaterial produzieren.

                                            DER PERFEKTE TAG                    Boot entferte sich um die Bären nicht zu irri-
                   LÜGENPRESSE ?            Tag sechs brach an und wir waren schon am   tieren. Jetzt waren wir allein und warteten auf
                   Katastrophenmeldungen    frühen Morgen auf dem Wasser. Bis zum Mit-  die drei Eisbären, die langsam auf uns zuka-
                   sind immer ein gefundenes   tag hatten wir nur die beiden erwachsenen   men. Wir bewegten uns nicht und schlossen
                   Fressen für die Medien, des-  Bären gesehen, die auf Felsen kletterten, um   auch die Distanz zu den Tieren nicht. Wir lie-
         halb gilt es hier besonders aufzupassen. Als   Vogeleier zu fressen. Dann, mitten in der Mit-  ßen sie selbst entscheiden, wohin sie wollten.
         aufmerksamer Leser wird man sich auch für   tagspause bekamen wir den erlösenden Anruf   Um uns herum war alles friedlich. Die Sonne
         andere Meinungen interessieren, nachden-  über Funk, „Nanuk, nanuk“ schrie Patrick,   stand relativ weit oben, und unsere Sicht war
         ken, abwägen und erst dann mitreden, an-  der aus dem Begleitboot noch andere Bären   besser als zehn Meter - die idealen Bedingun-
         statt abgedroschene Phrasen nachzuplap-  entdeckt hatte. Wir suchten mit dem Fernglas   gen, um Eisbären in ihrer natürlichen Umge-
         pern. Wir haben das bei der Recherche zu   die karge Landschaft ab, bis wir eine Bärin mit     bung zu fotografieren. Zehn Minuten später
         diesem Eisbärenartikel berücksichtigt und   ihren beiden Jungen, wahrscheinlich 16 bis   schwamm die Bärenfamilie immer noch auf
         nach dem Interview mit Amos Nachoum   18 Monate alt, auf einer kleinen Insel stehen   uns zu, aber zu diesem Zeitpunkt begannen
         nach weiteren und auch anders lautenden   sahen. Perfekt! Wie am ersten Tag konzent-  meine Beine im gerade einmal acht Grad
         Meinungen gesucht und sind dabei auf die-  rierte ich mich jetzt ganz auf meine Ausrüs-  Celsius warmen Wasser taub zu werden. Drei
         se interessante Webseite gestoßen:  tung und den bevorsteheden Tauchgang. Die   Minuten später war die kleine Bärenfamilie
         www.thegwpf.org/david-attenborough-accused-  Bärenfamilie machte sich derweil langsam auf   nur noch zehn Meter von uns entfernt, und
         of-misleading-public-about-polar-bears-again/  den Weg zum Wasser. Wir hielten Abstand,   ich drückte meinen Jacket-Deflator mit der
         Aber natürlich hat auch Dr. Friedrich   während wir ihre Bewegungen beobachteten,   linken Hand und positionierte meine Kamera
         Naglschmid wieder spannende Fakten zu-  sprachen wir wenig und bewegten uns kaum   mit der rechten. Wir tauchten bis auf fünf Me-
         sammengetragen, damit unsere Eisbären   noch. Als die Bären im Wasser waren, sah   ter ab. Adam immer unter mir um mich mit
         nicht ausschließlich mit dem Aussterben   ich, dass meine Crew mich mit großen Augen   seiner Kamera im Blick zu behalten – oder als
         in Verbindung gebracht werden. Vor allem   ansah. Meine Stunde war gekommen! Adam   Köder für die Bären?
         die Pizzlys oder Groslars genannten Hyb-  half mir mit der Ausrüstung, Joe startete den   Ich richtete meine Kamera auf die Bärenfami-
         riden aus Eisbär und Grizzly haben es uns   Motor, und wir folgten den drei Bären, die   lie, um mit dem Fotografieren zu beginnen.
         angetan. Wer dazu Bilder, Fakten, Stories   sich auf den Weg zu einer anderen Insel auf-  Jetzt konnte ich die Mutter und ihre Jungen
         hat – natürlich auch unter Wasser – darf   machten. Wir drehten eine große Kurve, um   deutlich im Sucher erkennen. Und natürlich
         sich gern bei uns melden!          näher an dieser Landmasse zu sein, und dann   hatten auch diese uns längst entdeckt und
                                            schlüpften Adam und ich ins Wasser und das   weil dieses mal die Jungen nahezu ausgewach-





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