Page 45 - divemaster Ausgabe 114 - Okt/Nov/Dez 2022
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mer zuhören. Sie waren wohl auch nicht dabei, als es im 4. Jh. v. Chr. zu
           einem Trinkwettkampf kam, den nicht alle Beteiligten überleben sollten.
           Wie der Geschichtsschreiber Chares von Mytilene berichtet, sollte derje-
           nige Sieger sein, der die größte Menge an ungemischten Wein trank. Von
           den Teilnehmern starben 35 auf der Stelle an Schüttelfrost, sechs weitere
           wenig später in ihren Zelten. Der Sieger hingegen erwies sich als durch-
           aus robust, er lebte immerhin noch vier Tage. Chapeau! Dabei hätte es
           eine ganze Reihe von Tricks gegeben, mit denen sich die Zecher gegen
           die Folgen des Rausches hätten schützen können. Als hilfreich galt das
           Essen von rohem Kohl oder einer gebratenen Ziegenlunge. Gespräche
           über historische Ereignisse sollten einen Betrunkenen angeblich schlag-
           artig wieder nüchtern machen. Und dann gab es noch den violetten Edel-
           stein Amethyst, der den Schutz vor Rausch schon in seinem Namen trägt
           (amethystos = „dem Rausche entgegenwirkend“).
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           ODYSSEUS UND DIE ZYKLOPENINSEL
           Auch in der griechischen Mythologie finden wir viele Geschichten, in
           denen Wein und Rausch eine große Rolle spielen. Die wohl Bekannteste
           stammt aus der Odyssee des Dichters Homer. Nach der zehnjährigen Bela-
           gerung Trojas, irrt Odysseus mit seinen Gefolgsleuten durchs Mittelmeer,
           um seine Heimatinsel Ithaka wiederzufinden. Auf seiner abenteuerlichen
           Reise kommt er auch an der Insel Gioura vorbei, die ganz in der Nähe
           der Untergangsstelle des Wracks von Alonissos liegt. Dort lebt der ein-
           äugige Zyklop Polyphem in einer großen Höhle. Die Abenteurer finden
           darin die Essensvorräte des Riesen, über die sie sich sogleich hermachen.
           Doch Polyphem überrascht sie und frisst zwei der Männer auf. Um sich   Die 17 Gramm schwere Silbermünze (Tetradachme)
           und seine verbliebenen Kameraden aus der verzweifelten Lage zu befreien,   zeigt auf der Vorderseite Dionysos auf einem Esel.
           greift Odysseus zu einer List. Er bietet dem Zyklopen einen Schlauch mit   Auf der Rückseite sind vier Weintrauben sowie der
                                                                 Name der Stadt, ΜΕΝΔΑΙΟΝ (Mende) zu sehen
           schwerem, ismarischen Wein an. Der kippt den Wein unverdünnt in sich   (Foto: Roma Numismatics Limited).
           hinein und sackt schließlich betrunken zusammen. Nachdem Polyphem   Mehr über Amphoren im divemaster #55.
           in tiefen Schlaf gefallen ist, rammen ihm die gefangenen Griechen einen
           glühenden Holzpfahl in sein Auge und fliehen. Zurück auf seinem Schiff   auch Thunfisch und Angelhaken aus Knochen in un-
           verhöhnt Odysseus den blinden Riesen, der wütend Felsbrocken nach ih-  terschiedlichen Größen sowie die Schädelreste einer
           nen wirft. Der rachsüchtige Polyphem betet daraufhin zu seinem Vater   etwa 70 Jahre alten Frau. Obsidianwerkzeuge von der
           Poseidon und bittet ihn, Odysseus nicht in seine Heimat zurückkehren   Kykladeninsel Milos wurden ebenso ausgegraben wie
           zu lassen. Poseidon erhört seinen Sohn und so kommt es zur zehnjähri-  Steinwerkzeuge, die Ähnlichkeit mit Funden in Klein-
           gen Irrfahrt des Odysseus. Mittlerweile haben Archäologen die Insel und   asien in der Gegend von Antalya aufweisen. Das sind
           auch die Höhle untersucht. An der Westküste Giouras entdeckten sie die   wichtige Hinweise darauf, dass die Bewohner der Insel
           Überreste eines Tempels, der vermutlich Poseidon geweiht war. Ausgra-  bereits vor über 10.000 Jahren Kontakte in der gesam-
           bungen in der Höhle ergaben, dass die Insel bereits im 9. Jahrtausend   ten Ägäis hatten und über außerordentliche Naviga-
           v. Chr. bewohnt war. Sie fanden große Mengen an Fischgräten, darunter   tionskenntnisse verfügten.



             QUELLENANGABEN:
             Abulafia, David: Das Mittelmeer: Eine Biographie, 2013.
             Bockius, Roland: Schifffahrt und Schiffbau in der Antike, Sonderheft „Archäologie
             in Deutschland“, 2007.
             Hadjidaki, Elpida: Underwater Excavations of a Late Fifth Century Merchant
             Ship at Alonnesos, Greece: the 1991-1993 Seasons". Bulletin de correspondance
             hellénique. 120 (2): 561–593, 1996.
             Katzev, Susan Womer: “The Ancient Ship of Kyrenia, Beneath Cyprus Seas.” Great
             Moments in Greek Archaeology. Ed. Pavos Valavanis and David Hardy. Oxford Uni-  DR. FLORIAN HUBER
             versity Press, 286-99, 2007.                          ist  Archäologe, erfolgreicher
             Mantzouka, Eleftheria: The transport amphoras from a fifth century shipwreck   Buchautor und über Submaris
             found off the island of Alonnesos, Northern Sporades, Greece. M.A. East Carolina   in zahlreiche  Forschungspro-
             University, 2004.                                   jekte und  Fernsehproduktionen
             Zinn, Frank: Die Weinkultur der Griechen, Norderstedt 2018.
                                                                             eingebunden.




                                                                                                           divemaster    #114 |   45
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