Page 37 - divemaster Ausgabe 114 - Okt/Nov/Dez 2022
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für den regionalen und überregionalen Weinhandel bestimmt waren. Wir
wissen von dem athenischen Landbesitzer Phainippos, der im 4. Jh. v. Chr.
rund 31.500 Liter produzierte, und für das berühmte Weingut auf der
Insel Thasos ist eine Produktion von etwa 93.000 Liter belegt.
Benannt waren die Weine nach ihrem geografischen Ursprung, nach
Eigenarten der Trauben sowie nach besonderen Methoden bei der Her-
stellung. Für den regionalen Handel und zum Transport über kurze Stre-
cken wurden Weinschläuche aus Tierhäuten verwendet. Der große Vorteil
war das geringe Gewicht. Für eine längere Lagerung des Weins waren sie
jedoch nicht geeignet. Es sei denn, jemand mochte Wein mit leichtem
Ziegen-Bouquet. Für den überregionalen Handel, der eigentlich immer
über den Seeweg erfolgte, verwendeten die Griechen daher spezielle Am-
phoren aus Keramik. Diese Transportamphoren helfen Archäologen und
Historikern heute, Umfang und Handelsrouten des antiken Weinhandels
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zu verstehen und zu rekonstruieren. Da sie in den verschiedensten Ge-
bieten des Mittelmeerraumes produziert worden sind, haben sie spezi-
fische Merkmale bei der Farbe und Zusammensetzung des Tons sowie
in der Form. So können Herkunft und Entstehungszeit meist zuverlässig
bestimmt werden. Zudem werden sie bei nahezu jeder Grabung im Mittel-
meerraum in großer Zahl gefunden oder wie im Falle des Schiffswracks
von Alonissos vom Meeresboden geborgen.
UNTERSUCHUNG DES WRACKS
Zusammen mit Skiathos, Skopelos und Skyros sowie zahlreichen unbe-
wohnten Inseln bildet Alonissos die Inselgruppe der Nördlichen Sporaden
in der Ägäis. Alonissos und Umgebung sind Teil des ersten in Griechen- Tauchguide Dias Menis erklärt den Besuchern
anhand von Tafeln das Wrack. Er achtet auch
land eingerichteten Meeresparks. Der National Marine Park of Alonissos gründlich darauf, dass die Taucher den vorgege-
Northern Sporades ist derzeit eines der größten geschützten Meeresgebie- benen Abstand zu den Amphoren einhalten.
te in Europa und Heimat der Mittelmeer-Mönchsrobbe (Monachus mo-
nachus). Sie ist das seltenste Säugetier Europas und eine vom Aussterben
bedrohte Art.
Der antike Name Alonissos´ war Ikos, das für seinen guten Wein bekannt ein Fotomosaik des massiven Amphorenhaufens, der
war. Unzählige zerbrochene Amphoren liegen noch heute an den Hängen in einer Tiefe von 22 bis 33 Metern liegt. Dabei zeigte
der Bucht von Tsoukalia. Dort standen die Werkstätten mit ihren Brenn- sich, dass der Hügel etwa 25 Meter lang und 12 Meter
öfen, in denen die Amphoren für den Weinexport hergestellt wurden. Da breit ist. Da die ehemalige Ladung noch immer eng
die Henkel der Amphoren mit der Aufschrift Ikion (Produkt aus Ikos) ge- angeordnet ist, sind die Form und somit die ungefäh-
stempelt waren, konnte der Weinhandel bis zur Nordküste des Schwarzen ren Masse des antiken Schiffes deutlich erkennbar. Es
Meeres und nach Alexandria in Ägypten nachgewiesen werden. ist damit weitaus größer als die bisherigen Frachtschif-
Vermutlich waren es die Kreter, die den Anbau von Oliven und Wein be- fe aus dieser Epoche. Das eigentliche Holz des Schiffes
reits in der Bronzezeit, also im 16. Jahrhundert v. Chr., auf die Insel brach- hat sich nicht erhalten, es ist längst der Holzbohrmu-
ten. Zu dieser Zeit wurde Ikos zunächst kretische, später dann mykenische schel zum Opfer gefallen.
Kolonie. 476. v. Chr. traten Ikos und die anderen Inseln der Nördlichen Die Fundstelle wurde in 72 gleichgroße Quadrate (je
Sporaden dem Attischen Seebund bei, einem Bündnissystem zwischen 2x2 Meter) unterteilt und detailliert untersucht. Allei-
Athen und vielen Stadtstaaten Kleinasiens. Im Jahr 190 v. Chr. eroberten ne die erste Oberflächenlage des Wracks besteht aus
die Römer die Inselgruppe. 976 Amphoren, die alle nummeriert wurden. Rund
Vor der zerklüfteten Nord- und Ostküste des modernen Alonissos liegen um die Fundstelle fanden die Taucher 30 weitere Am-
sechs kleinere Inseln, die Seefahrern damals wie heute im Notfall einen phoren sowie Ankerreste aus Blei. Insgesamt besteht
sicheren Ankerplatz boten. Die große Zahl an Wracks, die rund um die- die obere, sichtbare Lage aus über 1000 Amphoren,
se Inseln gefunden wurden, stützt die Annahme, dass dieser Seeweg seit die größtenteils noch intakt sind. Das lässt darauf
prähistorischen Zeiten ein bekannter Handelsstopp an der Kreuzung ent-
lang der Nord-Süd-Achse der Ostküste Griechenlands war. Eines dieser
Wracks ist das bekannt gewordene „Wrack von Alonissos“, das etwa 200
Meter südwestlich der kleinen Felseninsel Peristera liegt und Anfang der
1990er Jahre von griechischen Unterwasserarchäologen dokumentiert
wurde. Zur genauen Übersicht machten sie gleich zu Beginn der Grabung
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