Page 39 - divemaster Ausgabe 114 - Okt/Nov/Dez 2022
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phoren vom Typ Peparethos (auch als Solokha Il bekannt) mit 17,7 Litern
           Fassungsvermögen. Auf Grundlage der Ausmaße des Schiffes sowie der
           Anzahl der ausgegrabenen Amphoren in den beiden Abschnitten Θ5 (78
           Amphoren in vier Lagen) und Θ6 (65 Amphoren in drei Lagen) berech-
           neten die Archäologen, dass die Gesamtladung des Schiffes rund 4200
           Transportamphoren betrug. Insgesamt bargen sie davon mehr als 175 voll-
           ständige und zerbrochene Amphoren zur weiteren Untersuchung.
           Die errechneten Kapazitätszahlen erlauben auch eine vorläufige Schätzung
           über die Gesamtfrachtlast und die ungefähre Tonnage des Schiffes. Da von
           jedem Amphorentyp die gleiche Anzahl gefunden wurde, wird ein Durch-
           schnittsgewicht von 30 Kilogramm pro Amphore angenommen. Dem-
           nach betrug das Gesamtgewicht aller 4200 Amphoren rund 126 Tonnen,
           in denen sich etwa 82.110 Liter Wein befanden. Das Wrack von Alonissos
           liefert somit den ersten archäologischen Beweis, dass bereits im 5. Jahr-
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           hundert v. Chr. Frachtschiffe mit über hundert Tonnen Last das Mittel-
           meer befuhren. Schiffswracks aus der gleichen Zeit, die zuvor in Grie-
           chenland, Zypern, Frankreich, Italien und Israel entdeckt wurden, hatten
           eine Länge von 13 bis 17 Metern. Sie konnten maximal rund 50 Tonnen
           Ladung transportieren. Das bekannteste ist sicher das Schiff von Kyrenia
           auf Zypern, von dem große Teile des Holzes im schützenden Sediment
           liegen, weswegen sie gut erhalten sind. Dadurch konnte es fast vollständig
           rekonstruiert werden. Es war 15 Meter lang, transportierte 400 Weinam-
           phoren aus Rhodos und hatte eine Kapazität von 25 Tonnen.
           Wie schon erwähnt, hatte das Schiff von Alonissos vermutlich je 2100
           Amphoren der Hafenstadt Mende sowie von der Insel Peparethos (heu-
           te Skopelos) geladen. Der berühmte Wein von Peparethos soll zwar von   ...und überwachen es rund um die Uhr. So sehen
                                                                 sie in Echtzeit - auch nachts - wer sich am Wrack
           zweitrangiger Qualität gewesen sein, wurde aber dennoch rund um das   aufhält. Zudem übertragen die sich selbst
           Schwarze Meer exportiert. Über Geschmack lässt sich bekanntlich strei-  reinigenden Kameras Livebilder ins Internet und
           ten. Der Wein von Peparethos ist ein wunderbares Beispiel dafür: Wäh-  erkennen auch Fischarten, die für die Biologen
           rend ihn der Komödiendichter Hermippos als Getränk beschreibt, das   des Meeres-Nationalparks interessant sind.
           man nur seinen Feinden zu trinken gibt, fällt die Bewertung des Arztes
           Apollodoros deutlich positiver aus. Er zog diesen Wein allen anderen vor   einiges, zumindest bis auf weiteres, im Dunkeln blei-
           und empfahl ihn sogar einem König. Seine wirtschaftliche Bedeutung   ben.  Und womöglich werden wir nie  erfahren, wo
           wird auch auf den Münzen der Insel deutlich; sie zeigen auf der einen Seite   das Schiff gebaut wurde, wo es herkam, wohin es den
           eine Weintraube und auf der anderen Seite Dionysos mit einem Trink-  Wein transportieren wollte, warum es bei Alonissos
           gefäß in der Hand.                                    gesunken ist und ob dabei Menschen ums Leben ka-
           Viele Weine aus dem nördlichen Ägäisraum hatten einen vorzüglichen   men. Ganz sicher war der Untergang eine große Tra-
           Ruf. Weine aus Mende, Thasos, Chios und später Lesbos gehörten in der   gödie und der Verlust von über 80.000 Litern Wein
           klassischen Zeit (um 500 - 323 v. Chr.)               richtete einen großen wirtschaftlichen Schaden an. Ir-
            zu den bekanntesten und beliebtesten. Die Stadt Mende lag an der West-  gendwo an einem Hafen stand ein verzweifelter Händ-
           küste der Halbinsel Chalkidike. Dort wurde ein Weißwein produziert,   ler und blickte jeden Tag vergebens auf das glitzernde
           der im 4. Jh. v. Chr. in großer Zahl unter anderem nach Athen exportiert   Meer, um das lang ersehnte Schiff zu erspähen, das nie
           wurde. Von der großen wirtschaftlichen Bedeutung des Weinanbaus für   ankommen sollte.
           die Stadt künden die dort geprägten Münzen mit Motiven wie Dionysos   Trotzdem können uns die Art der Ladung und der
           auf einem Esel oder mit Trauben behangene Reben. In den vergangenen   Untergangsort des Schiffes in den Nördlichen Spora-
           Jahren wurden vermehrt Schiffswracks mit Weinamphoren aus Mende   den zumindest einen kleinen Hinweis auf die dama-
           gefunden. Diese archäologischen Entdeckungen stützen alte Aufzeich-  lige Reiseroute geben. Archäologen vermuten, dass
           nungen, die den Wein in den höchsten Tönen loben, und bestätigen die   das Schiff zunächst in Mende beladen wurde, um
           Annahme, dass die Stadt im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. ein bedeutender   dann entlang der Küste nach Süden zu segeln. Über
           Weinexporteur gewesen war.
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           DIE REISEROUTE DES SCHIFFES
           Viele verblüffende Details konnten in den vergangenen Jahren über das
           2400 Jahre alte Handelsschiff von Alonissos und seine gewaltige Wein-
           ladung herausgefunden werden. Doch wie so oft in der Archäologie muss




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