NORDOSTPASSAGE Geschichte eines Seewegs

Obwohl wir auch heute noch von
Unzugänglichkeiten in Bezug auf
geografische Gebiete sprechen,
haben die meisten Menschen bei
uns das Gefühl, dass es solche nur
noch aus politischen oder pandemischen
Gründen gäbe. Kreuz- und
Expeditionsfahrten gibt es von
den arktischen bis hinunter in die
antarktischen Gewässer. Nord- und
Südpolexpeditionisten reichen sich
in Talkshows die Hände. Wo kein
Einblick von der Erdoberfläche
möglich ist, liefern Satellitenbilder
erweiterte und ergänzende Einblicke in entlegenste Erdgebiete. So auch von den nordpolaren Eis- und Seegebieten.
Und trotz all dieser Informationen gibt es dort noch Gebiete in denen Eispanzer verkürzende Wege zum Beispiel durch die Nordostpassage
verhindern oder besser vorsichtig aus heutiger Sicht ausgedrückt, für den
allgemeinen Schiffsverkehr ganzjährig noch verhindern.
Dabei ist dieser Seeweg seit Jahrhunderten der Traum von Abenteurern,
Forschern, Handelsleuten und vor allem machtbewussten
Anrainern.
Dieser Nördliche Seeweg, die Nordostpassage führt im Nordpolarmeer
vom Europäischen Nordmeer durch Barents-, Kara-, Laptew-,
Ostsibirische und Tschuktschensee bis zur Beringstraße; mit 14.100
Kilometer ein rund 7.000 Kilometer kürzerer Seeweg zwischen Asien
und Europa als die heutige Hauptroute durch den Suezkanal. Ist der
Weg durch das Rote Meer durch Auseinandersetzungen blockiert,
kommen rund um Afrika noch einmal 6.000 Kilometer zu den bisherigen
21.100 hinzu. Diese Zahlenvertiefung sei entschuldigt, aber sie macht die
moderne Bedeutung der Nordostpassage offenkundig.
Unvorstellbar sind all die finanziellen, machtpolitischen und den technischen
Möglichkeiten der Zeit entsprechenden Anstrengungen der letzten
Jahrhunderte diesen goldenen Seeweg zu finden und in Beschlag zu nehmen.
Ein Geschichte, die nachweislich schon im 16.Jahrhundert beginnt.
Andreas Renner ist es in dieser ersten umfassenden Monografie über die
Erschließung der Nordostpassage gelungen die geschichtlichen Abläufe
strapazen- und verlustreicher Expeditionen ebenso zu lebendig zu schildern,
wie die Ansprüche und Hoffnungen der Anrainer im geschichtlichen
Konsens der Jahrhunderte. Alles liest sich wie eine persönliche
Teilhabe an den Ereignissen, abenteuerlich und mitreißend und das ist
bedeutsam, berufsbedingt immer der geschichtlichen Wahrheit verpflichtet.
Dabei finden auch die geostrategischen und geopolitischen
Hintergründe und Positionen vor allem der zaristisch-russischen, der
nachfolgend sowjetischen und der heutigen Kremlmachthaber genauso
Berücksichtigung wie die der USA und anderer westlicher Staaten. Denn
auch die enormen Bodenschätze der arktischen Region wecken die Begierde.
Mineralien und Erze genauso wie – und das ist erstaunlich – fossile
Brennstoffe vom Gas bis zur Kohle. Wer die deutschen Bemühungen im
Klimaneutralität kennt, wird diesen Run nach Erdgas, Erdöl und Kohle
kaum verstehen genausowenig wie den nach den radioaktiven Mineralien
für Kernkraftwerke und Atomwaffen. Vielseitiger wie in dieser Biografie
kann man seine Leser nicht ansprechen. Eingestreute Karten sind dabei
nicht nur für die Naviorientierten sondern auch für Leser aus dem analogen
Zeitalter eine wertvolle Orientierungshilfe. Tech- und Kaltwassertaucher
werden in diesen Gewässern neue Ziele suchen, denn auch das
ist die Wahrheit – der schon begonnene Klimawandel scheint die Nordostpassage
in Zukunft ganzjährig eisfrei zu machen. Eine spannende und
lesenswerte Biografie, die einen Bogen aus der Vergangenheit über die
Gegenwart bis in die nahe Zukunft schlägt.

Andreas Renner: Nordostpassage – Geschichte eines Seewegs. Mare Verlag
Hamburg 2024. Hardcover mit Schutzumschlag, 272 Seiten, 14,6 x 2,6 x 21,9 cm,
einigen SW-Karten, ISBN 978-3866486843, € 28,00 Keine Fremdwerbung.

This entry was posted in Buch-Tipps. Bookmark the permalink.